Biozide wirken im Wasser giftiger als vermutet

Bakterienbasierte Produkte gehören weltweit zu den bedeutendsten Bioziden. Eines dieser in Europa sowie in den USA weit verbreiteten Produkte ist Dipel ES (Bodenbakterium Bacillus thuringiensis). Als Fraßgift entfaltet es seine toxische Wirkung im Darm der Schädlinge. In Deutschland wird es vor allem zur Bekämpfung von Schmetterlingsraupen wie dem Eichenprozessionsspinner auf Wald- und Parkflächen eingesetzt. Zugelassen ist es auch im ökologischen Obst-, Gemüse- und Ackerbau. Forscher und Umweltschützer warnen jedoch vor negativen Effekten auf Wildtiere, für die das Gift nicht bestimmt ist. Auch wenn Mindestabstände zu Gewässern eingehalten werden, können Biozide in den Wasserkreislauf gelangen. In Laborversuchen untersuchten Wissenschaftler deshalb, wie sich Dipel ES auf Wasserflöhe (Daphnia magna) auswirkt. Wasserflöhe sind im aquatischen Nahrungsnetz von zentraler Bedeutung und eigentlich kein Zielorganismus des Pestizids. "Wir setzten neugeschlüpfte als auch ausgewachsene Tiere einem weiten Bereich an unterschiedlichen Dipel ES-Konzentrationen aus", erklärt Dr. Anderson Abel de Souza Machado, Gastwissenschaftler am IGB und Erstautor der Studie. "Anhand der Mortalität, Unbeweglichkeit und anderer Reaktionen wie Körperzusammensetzung und Entgiftungsenzyme beurteilten wir anschließend ihren allgemeinen Fitness-Zustand." Die Forscher fanden heraus, dass Dipel ES bei Wasserflöhen ein unerwartetes Toxizitätsmuster verursacht: Die Unbeweglichkeit, d.h. der Verlust der Schwimmfähigkeit, und die Sterblichkeit stiegen nicht proportional über den gesamten getesteten Konzentrationsbereich an. Während bei hohen Konzentrationen keine Auswirkungen auf die Organismen beobachtet werden konnten, führten bereits geringe Dosen zu deutlichen Effekten. "Das Biopestizid könnte damit zehntausendmal toxischer sein als vom Hersteller angegeben", vermuten sie. Das ungewöhnliche Toxizitätsmuster lässt Zweifel an einer weiteren Annahme aufkommen: In der Regulationstoxikologie wird normalerweise davon ausgegangen, dass die negativen Auswirkungen von Toxinen mit deren Dosis steigen. "Den Effekt, dass sich die Toxizität mit steigender Menge des Giftstoffs erhöht, nennen wir Monotonie", erläutert Anderson Abel de Souza Machado. "Den Wirkungen von Dipel ES liegen offensichtlich andere Mechanismen zugrunde. Höhere Konzentrationen waren ungiftig, was in der Toxikologie als nicht-monotone Wirkung oder Effekt mit umgekehrter (inverser) U-Kurve bezeichnet wird", sagt er. Die vorläufigen Analysen deuten darauf hin, dass diese ungewöhnlichen Effekte durch die Lösung des Biozids in Wasser hervorgerufen werden könnten. Es seien jedoch weitere Untersuchungen notwendig, um zu untersuchen, ob solche nicht-monotone Effekte wie bei Dipel ES auch außerhalb des Labors unter Freilandbedingungen auftreten können.
Quelle: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), 14.02.17
https://www.analytik-news.de/Presse/2017/92.html