Dosis und Wirkung – Beiträge zur theoretischen Pharmakologie (1949) von Hermann Druckrey und Karl Küpfmüller

In der Geschichte der Naturwissenschaften gibt es eine Reihe von Beispielen, bei denen einige wenige Arbeiten oder auch nur eine einzige Publikation eine Schlüsselrolle bei der Eröffnung neuer Forschungsfelder oder bei der Lösung eines Problems gespielt haben. Die Druckrey-Küpfmüller-Schriften aus den Jahren 1948-1949 sind ein solches Beispiel, das für die Entwicklung der Krebsforschung und der Pharmakologie bzw. Toxikologie bedeutsam wurde. Die Entstehungsgeschichte dieser Schriften wurde kürzlich aus den verfügbaren Quellen rekonstruiert. Nach dem 2. Weltkrieg waren Hermann Druckrey und Karl Küpfmüller für viele Monate in Lagern der alliierten Militärregierung in Deutschland interniert. Im Lager Hammelburg kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit beider Gelehrten, aus der zwei bedeutende Publikationen hervorgegangen sind. In persönlichen Briefen an Adolf Butenandt, die seit kurzem zugänglich sind, hat Druckrey damals über die Zusammenarbeit berichtet. Zitat: "In der Schaffung eines erbähnlichen Tiermaterials für alle Institute [sehe ich] eine notwendige Voraussetzung für eine wissenschaftliche Pharmakologie, denn ohne dies sind vergleichbare quantitative Versuche nicht möglich und ohne quantitative Versuche kein Fortschritt. Sie ist nötig, wie der Gebrauch der gleichen Sprache und der gleichen Maße für die Verständigung, möglichst sogar international."

Zusammen mit dem mathematisch versierten Karl Küpfmüller entwickelte der Pharmakologe und Krebsforscher Hermann Druckrey die theoretischen Grundlagen für die Dosis-Wirkungs-Beziehung in der Pharmakologie und Toxikologie, die in zwei Aufsätzen 1948 und 1949 veröffentlicht wurden.

Ein Auszug aus dem Buch Dosis und Wirkung – Beiträge zur theoretischen Pharmakologie (1949): " Die Beziehung zwischen Giftkonzentration und der Wirkung ist keine unmittelbare; vielmehr liegen wenigstens zwei Stufen vor. Die erste ist die durch das Gift herbeigeführte Rezeptoren-Besetzung, die zweite die dieser folgende Wirkung. Daher kann die Reversibilität der Wirkung dieselbe Bedeutung für den Wirkungscharakter des Giftes haben wie die Reversibilität der Rezeptoren-Besetzung. ….Ein „Konzentrationsgift“ liegt nur dann vor, …wenn sowohl die Rezeptoren-Besetzung als auch die Wirkung schnell reversibel sind. Wenn sowohl die Rezeptoren-Besetzung als auch die durch sie ausgelöste Wirkung irreversibel und irreparabel sind, so kommt es mit der Zeit zu einer enormen Wirkungsverstärkung. Die Wirkung entspricht dem doppelten Integral aus der Giftkonzentration über die Zeit. Bei derartigen Giften kann also unter Umständen während der Zeit ihrer Einwirkung überhaupt kein sichtbarer Effekt auftreten, während später, wenn das wirksame Agens vielleicht schon längst ausgeschaltet ist, immer zunehmende und schliesslich katastrophale Wirkungen an der Zelle bzw. am Organismus auftreten." Im Jahre !962 veroeffentlichte die Arbeitsgruppe Druckrey dann die bahnbrechende quantitative Analyse der experimentellen Krebserzeugung. "Die zur Krebserzeugung erforderliche Gesamtdosis war bei zunehmender Fraktionierung in geringere Tagesdosen über längere Zeit nicht größer, sondern nahm im Gegenteil erheblich ab. "

Hermann Druckrey berichtete über die im Lager in Gang gekommene Zusammenarbeit mit Karl Küpfmüller: "Da ich mir Protokollauszüge von allen noch nicht publizierten Arbeiten mitgenommen habe, konnte ich die Auswertung der Befunde gründlich durchführen. Zudem hat mich das Glück, das die Seinen ja nicht verlässt, mit dem Elektrophysiker Küpfmüller zusammengebracht, der sich schnell für meine Fragen interessierte und eine restlose mathematische Bearbeitung ermöglichte. Das hat sich vor allem bei meinen quantitativen Versuchen zur Krebserzeugung bewährt, die ein überraschend klares Bild ergeben. Es liessen sich einfache reaktionskinetische Ansätze machen, die in mehrfacher Hinsicht durchgerechnet sehr schöne Resultate ergeben. ....Das Befriedigende ist, dass bekannte Gesetzmässigkeiten anwendbar sind und zahlenmässig berechnet werden können. Natürlich ist noch manche Lücke, aber das Erreichte ergibt neue Gesichtspunkte genug. Die Zusammenarbeit, noch dazu für längere Zeit, mit einem Vertreter eines so anders gearteten Fachgebiets war in der Tat für beide Forscher ein glücklicher."

Die erstaunliche Weitsicht der beiden Autoren (wir schreiben das Jahr 1949!) wird mit dem folgenden Zitat belegt: "Die Auslösung von Mutationen, von krebsigen Entartungen und von letalen Effekten an der Zelle beruhen auf irreversiblen Wirkungen physikalischer oder chemischer Agentien. Das besondere Merkmal dieser Wirkungen ist darin gelegen, dass sie an spezifischen Rezeptoren angreifen, die nicht ersetzbare "höchstwertige" Funktionseinheiten der Zelle sind. Soweit diese zur Selbstreproduktion befähigt sind oder die Eigenschaft von Steuerungszentren für "niederwertige" Umsetzungen und Funktionen haben, kann ihre Veränderung zu "Verstärkereffekten" führen." Im Jahre 1962 veroeffentlichte die Arbeitsgruppe Druckrey dann die bahnbrechende quantitative Analyse der experimentellen Krebserzeugung. "Die Dosis-Wirkungsbeziehungen bei der experimentellen Erzeugung von Krebs des Gehörgangs durch 4-Dimethylaminostilben und der Leber durch Diäthylnitrosamin bei dauernder Behandlung an Ratten werden genauer untersucht. In allen Dosierungsgruppen lieferte die Summenhäufigkeit der Geschwülste in Abhängigkeit von der aufgenommenen Gesamtdosis übereinstimmend Normalverteilungen von ungewöhnlich hoher Charakteristik. Die zur Krebserzeugung erforderliche Gesamtdosis war bei zunehmender Fraktionierung in geringere Tagesdosen über längere Zeit nicht größer, sondern nahm im Gegenteil erheblich ab. Bei Eintragung der beobachteten Medianwerte in ein doppelt logarithmisches Netz wurden eindeutig lineare Beziehungen zwischen den Logarithmen der aufgenommenen Gesamtdosis (D 50) bzw. der Induktionszeit (t 50) und der Höhe der Tagesdosis gefunden. Die daraufhin vorgenommene Auswertung quantitativer Daten aus der Literatur für die experimentelle Krebserzeugung durch fünf verschiedene carcinogene Kohlenwasserstoffe lieferte im doppelt logarithmischen Netz ebenfalls lineare Regressionen. Für die carcinogene Wirkung kurzwelliger UV-Strahlen war das gleiche von H. F. Blum bereits gezeigt worden. Die Neigung der Regressionen für die Länge der Induktionszeit in Abhängigkeit von der Dosierung c entspricht der allgemeinen Formel ct n = konst., wobei der Wert des Exponenten n stets größer als 1 und meist zwischen 2 und 3 gefunden wurde. Danach wird die Carcinogenese in Übereinstimmung mit H. F. Blum als beschleunigter Vorgang oder als Verstärkerwirkung gedeutet."

Quellen: H. Druckrey, D. Schmahl, W. Dischler and A. Schildbach (1962) Quantitative Analyse der experimentellen Krebserzeugung Naturwissenschaften Volume 49, Number 10, 217-228, DOI: 10.1007/BF00627997
http://www.springerlink.com/content/nk38128w075n3n21/
Volker Wunderlich. Medizinhistorisches Journal 43 (2008) 327-343