Aufgrund der vorliegenden Daten nahm die EU-Kommission mit Wirkung zum 1. Dezember 2013 europaweit die Neonikotionidwirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid für zwei Jahre für alle bienenrelevanten Kulturen vom Markt, da sie im Verdacht stehen, das Bienenvölkersterben wesentlich mit zu verursachen. Weitere Neonikotinoide, wie z.B. auch das Thiacloprid, wurden noch nicht verboten, obwohl es bereits genügend Forderungen aus der Wissenschaft sowie von Imker- und Naturschutzverbänden gibt, alle Neonikotinoide zu verbieten. Die Geschichte der Chemikalienpolitik und der Regulierung gefährlicher Chemikalien zeigt, dass sich Ersatzstoffe aus derselben Substanzklasse bei weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen häufig als ebenso gefährlich herausgestellt haben. Dies gilt auch für das Thiacloprid. Seit Frühjahr 2014 liegen hierzu zwei Studien vor, die der Neurobiologe Dr. Menzel von der Freien Universität Berlin zusammen mit anderen Wissenschaftlern veröffentlichte.
Getestet wurden drei Wirkstoffe aus der Klasse der Neonikotionoide: Die beiden verbotenen Stoffe Imidacloprid und Clothianidin sowie auch das hier relevante Thiacloprid, und zwar in nicht-letalen (nicht-tödlichen) Konzentrationen. Im Ergebnis störten alle drei Neonikotinoide die Orientierungsfähigkeit von Honigbienen, Wildbienen, Hummeln und anderer bestäubender Insekten, in dem sie sich auf das Nervensystem auswirkten. Die Studie beschreibt, wie sich Bienen nach dem Sonnenkompass orientieren, mit dessen Hilfe sie sich ihre Flüge rund um den Bienenstock einprägen und ihre Flugrouten in einer Art „inneren Landkarte“ einspeichern. So wissen sie, in welcher Richtung und Entfernung sich der Bienenstock befindet. In einem Experiment testeten die Wissenschaftler die Wirkung auf die Fähigkeit der Bienen, sich ausreichend orientieren zu können. Den Versuchsbienen wurde an der Futterstelle eine kleine Menge der Pestizide verabreicht. Es zeigte sich, dass ihr Orientierungsvermögen während der Heimkehrphase durch die Insektizide gestört wurde. Dies lässt sich daran belegen, dass bedeutend weniger Bienen erfolgreich zum Stock zurückfanden und die Flugwege insgesamt weniger direkt verliefen. Auch die Fluggeschwindigkeit war verringert. Die stärksten Effekte hatte hier im Übrigen das Thiacloprid. Um die chronische Wirkung zu untersuchen, hat Menzel (2014) außerdem Bienen Thiacloprid in einer geringen Menge über einen längeren Zeitraum an der Futterstelle aufnehmen lassen, sodass es sich sowohl in ihrem Körper wie im Stock langsam anreichern konnte. Die dabei eingesetzten Dosen entsprachen Bedingungen, die in der
Landwirtschaft auftreten. Im Verlauf des Experiments benötigte er sehr viel höhere Konzentrationen an Zuckerlösung, damit die Tiere, die Thiacloprid bekamen, die Futterstelle überhaupt weiter besuchten. Diese reduzierte Attraktivität lag aber nicht an einer aversiven Geschmackskomponente, denn der Effekt stellte sich erst ein, nachdem sich Thiacloprid in den Tieren über mehrere Tage angereichert hatte. Obwohl er die Zuckerkonzentration erhöhte, sank die Zahl der Tiere, die die Futterstelle besuchten, d. h. das Neonikotinoid reduzierte die Sammelaktivität und die Rekrutierungsrate. In der Tat führten die Tiere keine Schwänzeltänze mehr durch, die Tanzkommunikation war gestört. Auch hier stellte sich heraus, dass das Heimkehrvermögen der mit Thiacloprid behandelten Bienen signifikant reduziert war. Die behandelten Tiere kamen, wenn überhaupt, nach sehr viel längerer Zeit zurück, waren also in der Heimkehrphase gestört. Menzel folgert daraus, dass subletale Dosen der drei untersuchten Neonikotinoide entweder das Kartengedächtnis stören oder es nicht mehr abrufbar machen.
Neue wissenschaftliche Ergebnisse legten ebenfalls Wissenschaftler des Bieneninstituts des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen (Fachgebietsleiter Dr. Ralph Büchler, sowie zwei seiner KollegInnen Frau Dr. Brandt und Herr Dr. Siede) vor. Dr. Büchler stellte diese auf dem 88. Kongress deutschsprachiger Imker am 12.09.2014 in Schwäbisch-Gmünd vor. Im Ergebnis reduzierte Thiacloprid die Anzahl der roten Blutkörperchen sowie des Lipidgehalts der Fettkörper bei den Bienen. Unserer eigenen Erkenntnis und Interpretation nach dürfte beides die „Fitness“ der Bienen reduzieren, da Hämatozyten der Sauerstoffspeicherung dienen und die Fette für den
Energiestoffwechsel von Relevanz sind. Da unter Feldbedingungen die gleichzeitige Anwesenheit mehrerer Pestizide die Regel ist, wurden in einer breit angelegten Studie in Nordamerika zwischen 2007 und 2008 während der Wachstumsperiode von Imkern zugesandte Proben untersucht (Mullin et al., 2010). Analysiert wurden Bienenwachs, Pollen und ausgewachsene Bienen. In den untersuchten Proben fanden die Forscher 121 verschiedene Pestizide, u.a. auch Thiacloprid und Propiconnazole (ein Fungizid). Die Wissenschaftler kritisieren, dass es kaum Untersuchungen zur Toxizität von gleichzeitig vorhandenen/einwirkenden Pestiziden gibt und dadurch enorme Risiken zur Sicherstellung der Bestäubungsleistungen und damit der Lebensmittelproduktion entstehen.
Zu der Frage der Auswirkungen gleichzeitig vorhandener Pestizide wurden von Iwasa et al. bereits 2004 Untersuchungen angestellt, die ergaben, dass die Anwesenheit weiterer Pestizide die Toxizität einzelner Pestizide erhöhen kann. Im Rahmen dieser Untersuchungen konnte man ermitteln, dass sich die akute Toxizität von Thiacloprid in Höhe von 14,6 µg/Biene durch die gleichzeitige Anwesenheit des Fungizides Propiconazole um das 559-fache erhöhte. Thiacloprid ist damit unter Feldbedingungen genauso gefährlich für Honigbienen, wie das in Europa vom Markt genommenen Neonikotinoid Imidacloprid (18 ng/Biene). Das bedeutet, dass sich bei
gleichzeitigem Vorkommen von Thiacloprid und Propiconazole eine LD50 von 8,16 ng/Biene ergibt, was eine über das Doppelte höhere Toxizität von Thiacloprid gegenüber dem auf EU-Ebene verbotenen Imidacloprid bedeuten würde.
Literatur:
Fischer J, Müller, T, Spatz, A-K, Greggers U, Grünewald B, Menzel R (2014). Neonicotinoids interfere with specific Components of Navigation in Honeybees. PLOS ONE 9 (3): e91364, pp. 1-10
Menzel R (2014). „Wie Pestizide (Neonicotinoide) die Navigation, die Tanz-Kommunikation und das Lernverhalten von Bienen verändern“, Rundgespräche der Kommission für Ökologie, Bd. 43 »Soziale Insekten in einer sich wandelnden Welt«, S. 75-83
Büchler (2014). Vorgestellt auf dem 88. Kongress deutschsprachiger Imker am 12.09.2014 in Schwäbisch-Gmünd
Iwasa T, Motoyama N, Ambrose JT, Roe RM (2004). Mechanism for the differential Toxicity of Neonicotinoid Insecticides in the Honey Bee, Apis mellifera. Crop protection 23: 371-378.
Mullin CA, Frazier M, Frazier JL, Ashcraft S, Simonds R, vanEngelsdorp D, Pettis JS (2010). High Levels of Miticides and Agrochemicals in North American Apiaries: Implications for Honey Bee Health. PLOS ONE 5(3): e9754. Pp. 1-19
Quelle : BUND, 23.02.2015
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