Wissenschaftler warnen vor einem europaweiten Rückgang von blütenbestäubenden Insekten

Droht Europa ein massiver Arbeitskräftemangel? Welche Folgen könnte der haben? Und was lässt sich dagegen tun? Mit solchen Fragen beschäftigen sich Ökologen normalerweise selten. Es sei denn, die besagten Arbeitskräfte sind mit Flügeln und sechs Beinen ausgerüstet. Im Rahmen eines EU-Projekts namens STEP (Status and Trends of European Pollinators) haben mehr als 120 Biologen aus 17 europäischen Ländern die Probleme von blütenbestäubenden Insekten untersucht. Schließlich sind viele europäische Wild- und Kulturgewächse auf diese fliegenden Dienstleister angewiesen, der boomende Anbau von Raps und anderen Energiepflanzen kurbelt die Nachfrage nach summender Unterstützung sogar immer weiter an. Gleichzeitig aber scheinen die Bestände etlicher Bestäuber deutlich geschrumpft zu sein. Grund genug für die STEP-Mitarbeiter, diese Entwicklungen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Bilanz nach fünf Jahren Forschungsarbeit fällt durchwachsen aus: Es gibt zwar durchaus gute Nachrichten aus der Bestäuberwelt. Aber auch viele Besorgnis erregende.

Denn das Heer der Bestäuber schrumpft. So halten die Imker in vielen Teilen Europas immer weniger Honigbienen, haben Forscher um Simon Potts von der University of Reading herausgefunden. Ihren Zahlen zufolge gab es im Mittelmeerraum in den letzten Jahren zwar eine leichte Zunahme der Bienenvölker. In Mitteleuropa aber ist seit 1985 etwa ein Viertel der Völker verloren gegangen, in England im gleichen Zeitraum sogar mehr als die Hälfte. Bienenhaltung ist vielerorts offenbar nicht mehr so populär wie früher. Und auch Krankheiten und Schädlinge wie die berüchtigte Varroamilbe machen den Haustieren unter den Insekten massiv zu schaffen.

Doch auch die wild lebenden Bestäuber haben ihre Probleme. Die intensive Landwirtschaft lässt ihnen nicht nur zu wenige und zu weit verstreute Lebensräume. Sie dezimiert auch das Blütenangebot und bringt Pestizide in die Landschaft, die für Insekten giftig sind. Solche Widrigkeiten haben in den Bestäuber-Populationen schon deutliche Spuren hinterlassen. Luisa Carvalheiro von der University of Leeds und ihre Kollegen haben 30 Millionen Beobachtungsdaten ausgewertet, die Hobbyforscher in den Niederlanden, Großbritannien und Belgien zusammengetragen haben. Vor allem in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es demnach dramatische Einbrüche in den Insektenbeständen. So ist die lokale Hummelvielfalt in den drei Ländern zwischen den 1950er und 1980er Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. Zudem scheinen sozial lebende Insekten stärker bedroht zu sein als Einzelgänger. Über die Staaten bildenden Hummeln zum Beispiel hatten die Forscher genügend Daten, um Rückschlüsse auf längerfristige Bestandstrends zu ziehen. Von den 69 europäischen Hummelarten gehen demnach 31 zurück.

Einen Grund dafür sehen Experten in der Intensivierung der Landwirtschaft. Wichtige Lebensräume wie Heuwiesen und naturnahe Weiden sind in vielen Regionen selten geworden und liegen aus Hummelsicht zu weit verstreut in der Landschaft. Zudem wird heute deutlich weniger Rotklee als Viehfutter und zur Bodenverbesserung angebaut als früher. Gerade solche Felder mit ihren attraktiven rosa Blüten und dem reichen Angebot an Nektar und Pollen aber sind traditionell besonders beliebte Hummelrestaurants.Zu deren besonders eifrigen Besuchern gehörte zum Beispiel die Cullumanus-Hummel Bombus cullumanus. Doch diese Vorliebe hat ihr nicht gutgetan. In den letzten zehn Jahren sind die Bestände der früher recht weit verbreiteten Art um mehr als 80 Prozent geschrumpft. Mittlerweile kommt sie nur in ein paar letzten Refugien wie den Pyrenäen und dem Zentralmassiv vor und gilt als vom Aussterben bedroht.

Quelle: Spektrum.de, 01.04.2015
http://www.spektrum.de/news/das-bedrohte-summen/1340250