Sehr geehrter Herr Dr. Tennekes
herzlichen Dank für Ihre e-mail vom 2.2.2016 mit der Sie sich nach den hiesigen Kenntnissen über die Auswirkungen von Neonikotinoiden auf die Nahrungskette erkundigen.
Das von Ihnen angesprochene Thema "Rückgang der Artenvielfalt in der Feldflur" beschäftigt das nordrhein-westfälischen Umweltministerium schon seit mehreren Jahren. Die von Ihnen zitierten Untersuchungen des Entomologischen Vereins Krefeld sind hier ebenfalls bekannt. Zu den Hauptverursachern des seit Jahren zu beobachtenden Biodiversitätsverlustes zählen zum einen die Zerstörung und Fragmentierung von Lebensräumen sowie eine fortdauernde Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung in der Agrarlandschaft. In diesem Kontext dürften auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln resp. Neonikotinoiden eine größere Rolle spielen. In welchem Umfang Neonikotine für den beobachten Rückgang der Insektenfauna ursächlich sind, ist aber nicht geklärt. Überlagert werden die genannten Faktoren vermutlich auch durch die globale Klimaveränderung, die ihrerseits einen - noch nicht zu bilanzierenden - Einfluss auf die Biozönose der Agrarlandschaft haben dürfte.
Mit den möglichen Wirkungen von Neonicotinoiden auf die Feldfauna hat sich das nordrhein-westfälische Landesamt für Naturschutz (LANUV) in den letzten Jahren vertieft beschäftigt. Es wurden die im Rahmen der Zulassungsverfahren für die Wirkstoffe erhobenen Untersuchungsergebnisse der Antragsteller sowie frei publizierte Literatur zur Umweltwirkung zusammengetragen und ausgewertet. Eigene ökotoxikologische Untersuchungen konnten aufgrund des erheblichen technischen und finanziellen Aufwandes allerdings nicht durchgeführt werden. Insofern ist eine abschließende Bewertung der potenziellen Schadwirkungen anhand von Literaturangaben natürlich nur sehr eingeschränkt möglich.
Zwar gibt es zu Neonicotinoiden (z.B. zu Imidacloprid) umfangreiche ökotoxikologische Untersuchungen, auf deren Grundlage beispielsweise mögliche Schadwirkungen auf Nichtzielinsekten durch Spritzmitteleinsatz bewertet werden können. Auf der anderen Seite können die Schadstoffmengen, die von der Feldfauna mit ihrer Nahrung aufgenommen werden, nicht abgeschätzt werden. Da die Wirkungsweise der Insektizidgruppe der Neonicotinoide auf einem Eingriff in die spezifische Reizleitung im Nervensystem von Insekten beruht, sind diese Wirkstoffe naturgemäß sowohl für Schadinsekten als auch für Nichtzielorganismen aus der Gruppe der Insekten giftig. Dabei variiert die Toxizität zwischen empfindlichen und toleranten Insektenarten erheblich, wobei einige Nichtzielorganismen noch empfindlicher als Bienen reagieren. Untersuchungen belegen beispielsweise eine hohe Giftigkeit für die Gruppe der parasitären Wespen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Einsatz von Neonicotinoiden zu einer Veränderung der Artenzusammensetzung in der Insektenfauna führen kann.
Die Toxizität von Neonicotinoiden gegenüber anderen Organismengruppen ist dagegen vermutlich geringer. Vögel sind insgesamt empfindlicher als Säugetiere, und diese wiederum reagieren empfindlicher als die aquatischen und terrestrischen Lebensformen der Amphibien. Auch bei Vögeln gibt es erhebliche Unterschiede in der Sensitivität. In Fütterungsversuchen waren Stockenten relativ unempfindlich, während der Feldsperling als Vertreter der Singvögel um den Faktor 10 empfindlicher reagierte. Das US Department of Agriculture, Forest Service kommt zu der Einschätzung, dass bei einer Ausbringung des Neonicotinoids Imidacloprid als Spritzmittel Säugetiere, die Neonicotinoide mit den Futterpflanzen aufnehmen bzw. Insekten fressende Säugetiere, geschädigt werden könnten. Dies gilt insbesondere für kleinere Säugetiere, weil diese im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht eine relative große Nahrungsmenge konsumieren. Auch für empfindliche Vogelarten, die über die Nahrungsaufnahme (gespritzte Pflanzen und gebeizte Samen) mit Imidacloprid belastet werden, kann eine Schädigung nicht ausgeschlossen werden. Auswirkungen auf Amphibien sind dagegen wohl nicht zu erwarten.
Insgesamt wird deutlich, dass der in den letzten Jahren festgestellte Rückgang der Artenvielfalt in der Feldflur durchaus mit dem Einsatz neonikotinoider Insektizide zusammenhängen könnte. Letzten Endes dürfte es sich aber um einen multifaktoriellen Ursachenkomplex handeln, bei dem der Einsatz dieser Stoffgruppe im Zusammenspiel mit den eingangs aufgeführten Faktoren (Lebensraumverluste, intensive Landnutzung) zu den Bestandsverlusten führt.
Vor diesem Hintergrund arbeitet das nordrhein-westfälische Umweltministerium seit einigen Jahren intensiv an der Verbesserung des aktuellen Zustands von Natur und Landschaft. Am 20. Januar 2015 hat das Landeskabinett die Biodiversitätsstrategie NRW verabschiedet. Sie beschreibt den derzeitigen Ist-Zustand der nordrhein-westfälischen Natur- und Landschaftsräume sowie konkrete Maßnahmen für einen ambitionierten Biodiversitätsschutz für das nächste Jahrzehnt. Zusammen mit dem geplanten neuen Landesnaturschutzgesetz wird durch die Biodiversitätsstrategie NRW die Naturschutzpolitik in Nordrhein-Westfalen neu ausgerichtet. Die Strategie können Sie auf der MKULNV-Homepage unter www.umwelt.nrw.de herunterladen. Die Strategie sieht beispielsweise die konsequente Umsetzung der gesetzlichen Artenschutzbestimmungen in der Landwirtschaft sowie die Umsetzung von produktionsintegrierten Artenschutzmaßnahmen vor. Darüber hinaus sollen durch das neue NRW-Programm Ländlicher Raum 2014 bis 2020 der Vertragsnaturschutz sowie die Agrarumweltmaßnahmen ausgeweitet und der ökologische Landbau gestärkt werden. Im Vorfeld der Verabschiedung der Biodiversitätsstrategie durch das Kabinett wurde im Dezember 2014 die "Rahmenvereinbarung zur Förderung der Biodiversität in Agrarlandschaften" von den Präsidenten der Landwirtschaftsverbände (RLV und WLV) und der Landwirtschaftskammer NRW sowie dem nordrhein-westfälischen Umweltminister Johannes Remmel unterzeichnet. Diese Vereinbarung konkretisiert für die Agrarlandschaft einige Aspekte der Biodiversitätsstrategie.
Ich hoffe, dass ich Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Aktivitäten des Landes NRW zur Verbesserung des Natur- und Artenschutzes im Bereich der Agrarlandschaft aufzeigen konnte und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Ernst-Friedrich Kiel
Dr. Ernst-Friedrich Kiel
- Referatsleiter -
Ref. III-4 Biotop- und Artenschutz, NATURA 2000, Klimawandel und Naturschutz, Vertragsnaturschutz; Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW (MKULNV) Schwannstraße 3
40476 Düsseldorf
Eingehende Anfrage:
Dr. Henk Tennekes schrieb:
Ende der Insektenfresser in NRW ?
An unterschiedlichen Standorten hat der Entomologische Verein Krefeld über standardisierte Methoden die Insekten in den vergangenen drei Jahren erfasst und mit Untersuchungsergebnissen von vor 15 bis 25 Jahren verglichen. Hierbei zeigten sich dramatische Verluste von bis zu 70 bis 80 Prozent der Biomasse von Fluginsekten. Wie steht es um die insektenfressenden Arten in NRW (Reptilien, Amphibien, Fledermäuse., Igel, Schwalben)? Ich gehe davon aus dass die Neonikotinoide mit der Ausrottung von Insekten einen Zusammenbruch der Nahrungskette verursachen werden. Beunruhigt Sie das nicht?
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Antwort Dr. Henk Tennekes
Sehr geehrter Herr Dr. Kiel
Für Ihre ausführliche Antwort möchte ich mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken.
Ihre Bemühungen sind nicht nur ausserordentlich wichtig, sondern wahrscheinlich auch von historischer Bedeutung. Ich bin ein erfahrener Toxikologe und Schüler des grossen Krebsforschers Hermann Druckrey. Als ich im Jahre 2009 entdeckte dass die Neonikotinoiden exakt die gleichen Dosis-Wrkungsbeziehungen bei Gliedertiere haben wie Druckrey sie für krebserregende Substanzen ermittelt hatte (siehe bitte beiliegende Veröffentlichung in deutscher Sprache), und ausserdem feststellte dass diese Substanzen nur schwer abbaubar sind und die Umwelt verschmutzen, wurde mir klar dass sich eine Umweltkatastrophe ungeahnten Ausmasses anbahnte. Mit meinem Buch "Disaster in the Making" habe ich im darauffolgenden Jahr meine Erkenntnisse und Befürchtungen veröffentlicht. Das Buch wurde vom BUND in 2011 in deutscher Fassung herausgegeben.
Die Krefelder Entomologen haben mit ihren Messsungen der Biomasse von Fluginsekten den Beweis erbracht, dass die Insekten nach Einführung der Neonikotinoide verschwinden. Ich empfehle nunmehr alle Daten über Bestandsveränderungen von Insektenfresser in NRW zu sammeln und in diesem Zusammenhang zu analysieren. Mir ist klar, dass die Feldvögel und Fledermäuse in NRW grösstenteils verschwunden sind, aber ich habe keine Daten über andere Insektenfresser wie z.B. Igel, Reptilien und Amphibien oder auch Süsswasserfische auftreiben können. Wenn Sie diese Lücken schliessen können, sind Sie in der einzigartigen Lage den von Neonikotinoiden herbeigeführten Zusammenbruch der Nahrungskette überzeugend dokumentieren zu können.
Damit können Sie die Welt vor einem der grössten Umweltgaus der Geschichte bewahren.
Nochmals herzlichen Dank.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Dr. Henk Tennekes
Toxikologie Berater
ETS Nederland BV
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