Neue Untersuchungen von WissenschaftlerInnen der Universität Utrecht in den Niederlanden zeigen, dass Belastungen von Oberflächengewässern mit dem Pestizid Imidacloprid zu einem Rückgang wirbelloser Kleinlebewesen in Gewässern führt (1). Die schädigende Wirkung des Neonikotinoids Imidacloprid auf Gewässerorganismen wurde auch durch Schweizer Forscher bestätigt: Besonders lang anhaltende Belastungen mit niedrigen Konzentrationen von Imidacloprid können dazu führen, dass Bachflohkrebse geschädigt werden und verhungern (2).
Das Insektizid Imidacloprid geriet in der letzten Zeit vor allem durch seine negativen Auswirkungen auf Bienen und jüngst durch das beschlossene zweijährigen Verbot in die Diskussion (3). Doch Imidacloprid schädigt nicht nur Bestäuber-Populationen. Dieser Pestizid-Wirkstoff, der zur Gruppe der Neonikotinoide zählt, ist in der Umwelt gut wasserlöslich und gleichzeitig schlecht abbaubar. Daher kann er sich in Böden und Sedimenten anreichern. Im Tier wirkt er neurotoxisch, indem er sich an kritische Rezeptoren im Nervensystem bindet und so die Reizübertragung stört. Dies macht ihn auch für andere Lebewesen zum Problem, etwa für zahlreiche im Wasser (aquatisch) und auf dem Land (terrestrisch) lebende wirbellose Tiere wie Käfer, Schnecken, Fische und Würmer (4), (5). Hierzu hat die Studie der niederländischen WissenschaftlerInnen vertiefende Erkenntnisse gebracht.
Die WissenschaftlerInnen Tessa C. Van Dijk, Marja A. Van Staalduinen und Jeroen P. Van der Sluijs untersuchten die Auswirkungen von Imidacloprid auf wirbellose Kleinlebewesen (Makroinvertebraten)in niederländischen Oberflächengewässern. Imidacloprid war 2004 in den Niederlanden jenes Pestizid, das in Oberflächengewässern am häufigsten die niederländische Qualitätsnorm für aquatische Toxizität überschritt.
Imidacloprid wird zur Saatgutbehandlung eingesetzt. Hierbei wird das Saatgut mit dem Pestizid ummantelt und in den Boden gesät. Ein Teil des Wirkstoffs wird von der Pflanze aufgenommen, doch 80% bis 98,4% des Wirkstoffs verbleiben im Boden. Durch Oberflächenabfluss und Versickerung gelangt der Wirkstoff vom Feld in Oberflächengewässer und in das Grundwasser.
Für Ihre Studien setzten die WissenschaftlerInnen die landesweit erhobenen Monitoringdaten zum Vorkommen und zur Dichte von in den Oberflächengewässern vorkommenden wirbellosen Kleinlebewesen (Makroinvertebraten) in Bezug zu den Ergebnissen der staatlichen Rückstandsuntersuchungen für Pestizide in Oberflächengewässer. Hierbei zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Imidacloprid-Belastungen der Oberflächengewässer und der Dichte der Makroinvertebraten. Der Glanzwurm Lumbriculus variegatus zeigte beispielsweise hohe Todesraten wenn er der dem Wirkstoff 10 Tage lang ausgesetzt war. Auf niedrigere Konzentrationen über einen längeren Zeitraum reagierte die Art der Glanzwürmer mit zeigten reduzierten Wachstumsraten. Andere Arten wie die Zuckmücken und Flohkrebse konnten sich zwar von einer kurzzeitigen Belastung mit Imidacloprid erholen, Langzeitexpositionen führten jedoch zu einer verringerten Überlebens- und Wachstumsrate. Auch Veränderungen im Verhalten konnten die WissenschaftlerInnen beobachten. Bei den Reaktionen auf die unterschiedlichen Konzentrationen und Belastungszeiträume zeigte sich ein durchaus heterogenes Bild. Doch für alle untersuchten Arten konnten die Wissenschaftler einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Imidacloprid-Konzentration und der Dichte der vorkommenden Arten nachweisen. Für Flohkrebse, Zweiflügler, Eintagsfliegen, Asseln und Wasserlungenschnecken ließ sich dieser Zusammenhang auch auf Populations-Ebene (Ebene der "Ordnung") zeigen.
Die WissenschaftlerInnen mahnen in ihrer Studie an, nicht nur die direkten negativen Auswirkungen auf die einzelnen Organismen im Blick zu haben, sondern auch die weitreichenden indirekten Konsequenzen auf das Ökosystem. Denn wenn Pestizid-Belastungen zum Rückgang von Insekten- und Kleinstlebewesen-Populationen führen, hat dies Auswirkungen auf Vögel und andere Tiere, denen sie als Nahrung dienen. Als Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der Studie fordern van Dijk et al. eine Verschärfung bestehender Qualitätsnormen auf nationaler und europäischer Ebene.
Dass die derzeitigen Verfahren zur Risikoabschätzung im Rahmen der Wirkstoffgenehmigung nicht geeignet sind, um das tatsächliche Risiko für Gewässerorganismen abzubilden, belegen auch die jüngsten Untersuchungen aus der Schweiz. Die ForscherInnen vom Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag Anna-Maija Nyman, Anita Hintermeister, Kristin Schirmer und Roman Ashauer konnten zeigen, dass sich Bachflohkrebse (Gammarus pulex), die kurzzeitig erhöhten Imidacloprid-Konzentrationen ausgesetzt waren, weniger bewegen und weniger fressen, sich aber schnell wieder erholen, sobald die kurzzeitige Belastung vorbei ist. Ganz anders ist die Situation, wenn die Kleinkrebse einer sehr niedrigen aber dauerhaften Belastung ausgesetzt sind: Das Nervengift Imidacloprid führt dann u.a. zu einer verringerten Fortbewegung der Tiere. Die Tiere fressen hierdurch weniger, zehren Fettreserven auf und können, wenn sie zum Beginn der Belastung bereits über geringe Fettreserven verfügt haben, verhungern. Diese Langzeitfolgen werden von den bisher gängigen Toxizitätstests nicht erfasst. Die Schweizer Wissenschaftler haben ihre Studienergebnisse in ein mathematisches Modell einfließen lassen, mit dem sich abschätzen lässt, welche Pestizid-Konzentrationen über wie lange Zeit für die Organismen schädlich sind.
In Deutschland sind derzeit 27 Imidacloprid-haltige Pestizidprodukte zugelassen, 22 dieser Mittel haben eine Zulassung für den Haus- und Kleingarten und dürfen somit auch von völlig unausgebildeten Personen ausgebracht werden. Zugelassen sind die Mittel in zahlreichen Kulturen: u.a. in Raps, Zwiebelgemüse, Brokkoli, Kohlrabi, Apfel, Pfirsich, Hopfen, Tabak und Zierpflanzen (6).
Quelle: Christina Lehmann und Susan Haffmans, PAN Germany.
Anmerkungen
(1) Van Dijk, TC; Van Staalduinen MA, Van der Sluijs JP (2013): Macro-Invertebrate Decline in Surface Water Polluted with Imidacloprid. PLoS ONE 8(5): e62374. doi:10.1371/journal.pone.0062374. Online unter: http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0062…
(2) Nyman A-M, Hintermeister A, Schirmer K, Ashauer R (2013): The Insecticide Imidacloprid Causes Mortality of the Freshwater Amphipod Gammarus pulex by Interfering with Feeding Behavior. PLoS ONE 8(5): e62472. doi:10.1371/journal.pone.0062472. Online unter http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0062…
(3) Haffmans, S (2013): Gute Nachricht für Bienen: EU-Zustimmung zum befristetem Verbot dreier bienengefährlicher Pestizide. Pestizid-Brief vom 30.04.2013. Online unter: http://www.pan-germany.org/deu/~news-1255.html
(4) Haffmans S (2011): Systemische Pestizide: Eine stille Gefahr. PAN Germany Pestizid-Brief Januar/Februar 2011. Online unter: http://www.pan-germany.org/deu/~news-1079.html
(5) Tennekes, H (2011): The systemic insecticides: a disaster in the making. ETS Nederland BV, Zutphen. Deutsche Fassung herausgegeben vom BUND unter dem Titel: Neuartige Pestizide töten Insekten und Vögel
(6) BVL-Online Datenbank zugelassener Pflanzenschutzmittel. Zugriff am 15.5.2013 https://portal.bvl.bund.de/psm/jsp/index.jsp
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