Frösche sterben wegen Pestizide, doch die Behörden blieben bis jetzt untätig

Wenn ein Bauer seine Felder spritzt, tötet er mehr als beabsichtigt. Carsten Brühl, Ökotoxikologe an der Universität Koblenz-Landau, geht davon aus, dass auch viele Frösche eingehen. «In Laborversuchen stellten wir fest, dass 40 bis 100 Prozent der mit Pflanzenschutzmitteln besprühten Amphibien verenden», sagt er. Innert 24 Stunden starben die Tiere einen stillen Tod. Angewandt wurden auch in der Schweiz zugelassene Spritz­mittel, und zwar in der empfohlenen Konzentration. Die Untersuchung wurde Anfang 2013 publiziert. Obwohl 14 von 20 Amphibienarten in der Schweiz auf der Liste der bedrohten Tiere stehen, hat sich aber in der Praxis nichts geändert.
Bei der Zulassung der Spritzmittel werde erst gar nicht abgeklärt, ob sie ausgewachsene Amphibien schädigen würden, kritisiert Brühl. Angesichts dessen, dass bloss 5 von rund 1400 zugelassenen Präparaten getestet worden seien, kommt Studienleiter Brühl zum Schluss: «Man hat überhaupt keine Ahnung.» Ob die Wirkung auf dem Feld ähnlich ist wie im Labor, untersuchte bisher niemand.

Als er die stellvertretende Direktorin des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), Eva Reinhard, auf das fehlende Engagement angesprochen habe, sei ihm diese eine Antwort schuldig geblieben.

Für den Wissenschaftler liegt bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Europa und in der Schweiz einiges im Argen. «Die unabhängige Forschung hat es schwer», sagt er. Erstens fehle das Geld, zweitens würden sich die Hersteller vehement einmischen, wenn kritische Befunde auftauchten.

Im Gegensatz zur Schweiz entscheidet in Deutschland immerhin das Umweltbundesamt bei der Zulassung neuer Mittel mit, und in der spezifischen Frage der Toxizität auf Amphibien prüft die EU seit einem Jahr, ob sie allenfalls handeln muss.

Jan Waespe vom BLW beschwichtigt, auch die Schweiz sei an den Abklärungen in der EU beteiligt. Reaktionen der Behörden müssten aber immer verhältnismässig sein. Für vorsorgliche Eingriffe, die das Umweltschutzgesetz vorsehe, brauche es wissenschaftlich begründete Indizien für Schäden. Waespe, Projektleiter des neuen Aktionsplans Pflanzenschutz des Bundesrats, geht davon aus, dass dank dem Aktionsplan auch die Risiken für Amphibien gesenkt werden.

Nicht so Andreas Bosshard vom Verein Vision Landwirtschaft. Er bemängelt die nicht ambitionierten Ziele des Bundes: «Wirklich etwas brächte eine Halbierung der Spritzmittelmenge, so wie wir das mit unserem ­Reduktionsplan vorschlagen.»

Für Carsten Brühl war bei seinen Versuchen nicht einmal in erster Linie überraschend, dass die Frösche starben. Ihn frappierte etwas anderes: «In den über 50 Jahren, in denen Landwirte solche Mittel auf ihren Feldern ausbringen, ist noch nie jemand auf die Idee gekommen, deren Wirkung auf Amphibien wissenschaftlich zu untersuchen.»

Der Biologe, der sich in der Pfalz in einem Naturschutzverein engagiert, erzählt: «Die Winzer, die im Verein Mitglied sind, waren ebenfalls entsetzt über die Wirkung dieser Stoffe.» Ein Bauer wolle ja nicht Frösche umbringen.«Doch heute kann er sich bei keinem der zugelassenen Pflanzenschutzprodukte sicher sein, ob sie nicht genau dies tun.»

Quelle: Berner Zeitung, 26.10.2016
http://www.bernerzeitung.ch/schweiz/standard/pestizide-toeten-froesche/…