Viele Arten kämpfen ums Überleben

Der 22. Mai war der Internationale Tag der biologischen Vielfalt – doch nach wie vor verschwinden viele Arten. Das von der Europäischen Union gesetzte Ziel, diese Entwicklung bis spätestens 2020 zu stoppen, wurde bislang nicht erreicht: „Es ist eher davon auszugehen, dass wir viele weitere Arten, Lebensräume und genetische Vielfalt bis zum Ende dieser Dekade verlieren werden“, sagt Gernot Segelbacher, Professor für Wildtierökologie und Wildtiermanagement der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Vor allem die Vogelwelt hat in den vergangenen Jahren viele Arten verloren, Laut Angaben des Naturschutzbundes Nabu leben heute in Europa rund 450 Millionen Vögel weniger als noch vor drei Jahrzehnte, die Roten Listen werden immer länger. In Deutschland gibt es vor allem bei den Feldvögeln einen dramatischen Rückgang. „Arten der freien Landschaft, wie zum Beispiel das Rebhuhn, sind in vielen Gebieten mittlerweile ausgestorben“, erklärt Segelbacher. Bundesweit stehen die gedrungenen Vögel mit dem rostroten Kopf deshalb auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Auch die einst weit verbreiteten Feldlerchen und Kiebitze kämpfen mittlerweile um ihr Überleben; auch sie sind typische Bewohner offener Felder und Wiesen. So sind zwischen 1990 und 2013 in Deutschland 84 Prozent aller Rebhühner, 80 Prozent der Kiebitze und 35 Prozent der Feldlerchen verschwunden, wie aus einer Anfang des Monats veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht. Eine im August 2016 veröffentliche Studie mehrerer Forschungseinrichtungen und Verbände zu Feldvögeln kam zu dem Schluss, dass die Vogelschutzrichtlinie und Agrar-Umweltprogramme der Europäischen Union den Artenschwund bisher nicht umkehren konnten.

Die Hauptgründe für den Rückgang der Feldvögel sehen Experten in der seit den 1970er Jahren immer stärker betriebenen industriellen Landwirtschaft, im steigenden Anteil von Mais- und Rapsmonokulturen sowie dem Einsatz von Pestiziden. „Die immer intensivere Landwirtschaft lässt selbst den früher fast überall anzutreffenden Vogelarten der Agrarlandschaft keinen Raum mehr zum Überleben“, erklärt Thomas Tennhardt, Vizepräsident des Nabu.

„Nutzungsintensivierung und der Einsatz von Pestiziden, Überdüngung und verarmte Fruchtfolgen“ hätten in den letzten Jahrzehnten zu einem „massiven Verlust“ von Lebensräumen in der Agrarlandschaft und zu einer „enormen Belastung“ von Wasser, Böden und Klima geführt – mit der Folge, dass immer mehr Arten verschwunden seien.

Wildtierökologe Segelbacher von der Universität Freiburg erklärt: „Eine leere Landschaft, die aus reinen Äckern ohne Randstreifen und Hecken besteht, macht es unseren Vögeln auch in einem aufgeräumten Wald schwer, Nahrung zu finden und erfolgreich Jungvögel aufzuziehen.“ Neben dem Verlust an Lebensraum sieht der Wissenschaftler auch im starken Schwund von Insekten eine wichtige Ursache für das „stille Sterben“ der Vögel. Denn die Kerbtiere – denen wiederum Pestizide und das Schwinden blütenreicher Wiesen zum Verhängnis werden – sind für viele Vogelarten eine wichtige Nahrungsquelle.

So haben Insektenkundler nach Angaben des Nabu in einigen Gegenden Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten einen Rückgang allein der Fluginsekten um bis zu 80 Prozent festgestellt. Zu schaffen macht der Insekten-Exitus im Übrigen nicht alleine jenen Vögeln, die in der freien Landschaft heimisch sind, sondern auch jenen, die sich in unseren Gärten tummeln. Für den Rückgang der Vogelarten auf Feldern und Wiesen macht der Nabu vor allem die gemeinsame Agrarpolitik der EU verantwortlich, „bei der die Förderung größtenteils nach dem Gießkannenprinzip mittels pauschaler Flächenprämien ohne konkrete Natur- und Umweltleistungen für die Gesellschaft erfolgt“, wie es in einer Mittelung der Naturschützer heißt. „Damit muss endlich Schluss sein“, mahnt Thomas Tennhardt.

Der Nabu fordert deshalb eine „grundlegende Reform der gemeinsamen Agrarpolitik nach 2020“ und sieht vor allem auch die Bundesregierung in der Pflicht. „Ohne Druck aus Deutschland wird es keine ökologische Agrarreform geben“, sagt Tennhardt.

Der Nabu sieht sich in seinen Forderungen – die von anderen Umweltverbänden geteilt werden – durch eine Bürgerbefragung der EU-Kommission bestätigt, an der mehr als 320 000 Menschen teilgenommen haben. Das Votum sei „eindeutig“, erklärt Tennhardt: Die Bürger verlangten darin „einen grundsätzlichen Wandel der EU-Agrarpolitik hin zu einer verantwortungsbewussten, fairen, nachhaltigen und gesunden Landwirtschaft für Mensch und Tier“.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 22.05.17
http://www.fr.de/wissen/klimawandel/umwelt/voegel-viele-arten-kaempfen-…