Der Einsatz von Neonicotinoiden soll in Österreich verboten werden

Das wurde Dienstagnachmittag beim „Bienengipfel“ im Landwirtschaftsministerium beschlossen. Umwelt- und Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) begründete seinen Richtungsschwenk damit, dass die „Lösung der Vorwoche keine Akzeptanz gefunden hatte“. Der Ressortchef hatte bei einer Abstimmung über ein EU-weites Verbot dieser Pestizide am 29. April noch gegen den Vorschlag gestimmt. Berlakovich begründete das damals damit, dass er nicht nur Bienen schützen wolle, sondern auch bäuerliche Existenzen. „Wir wollen die Bienen schützen, wir wollen aber auch die Bauern schützen“, so der Umweltminister im Rahmen einer Pressekonferenz. Er betonte aber auch, dass mit einem Verbot der Neonicotinoide das Bienensterben nicht besiegt sei. „In Deutschland gibt es gleich hohe Verluste wie bei uns - und das trotz eines Verbots“, so Berlakovich. Dennoch wolle er einen „Schulterschluss von Imkern und Bauern“ erreichen, weshalb der „Bienengipfel“ beschloss, sich dem Entwurf aus Brüssel anzuschließen. Berlakovich kündigte zudem an, die Forschung auf diesem Gebiet intensivieren sowie die Landwirte mit Programmen und Beratungen unter die Arme greifen zu wollen. Darüber hinaus soll ein Bienengesundheitsprogramm auf die Beine gestellt werden.

Gentechnik sei nach wie vor keine Alternative zum Einsatz von Pestiziden, bekräftigte der Umweltminister. Auch ein Ausgleich etwaiger Ernteausfälle müsse angestrebt werden. ÖVP-Obmann Vizekanzler Michael Spindelegger rief Dienstagmittag eine „Kehrtwende“ aus. Wenn auch nur der geringste Verdacht bestehe, dass Pestizide für das Bienensterben verantwortlich seien, dann müsse Österreich für ein Verbot stimmen. Dass sich Berlakovich auf EU-Ebene gegen ein Verbot von drei Pestiziden ausgesprochen hatte, war Anlass für heftige Diskussionen und Kritik gewesen. Spindelegger sprach am Dienstag von einer „großen und öffentlichen Empörung“. „Die Bienen sind uns selbstverständlich auch wichtig“, so der ÖVP-Obmann vor dem Gipfel. „Jedes Risiko, das ausgeschlossen werden kann, ist ein Risiko weniger. Im Zweifel sind wir für die Bienen“, hatte Spindelegger zuvor im „Kurier“ (Dienstag-Ausgabe) gesagt.

Geharnischte Kritik an Berlakovich kam von Umweltschutzorganisationen. Dass Berlakovich jetzt die EU-Verbote „unterstützt“, sei „eine Farce und Augenauswischerei“, so Global 2000. Ob er diese Verbote unterstütze, sei völlig unerheblich, der „zukünftige Landwirtschaftsminister“ werde sie im kommenden Jahr als EU-Verordnung ohnehin umsetzen müssen. Das wahre Gesicht seiner Landwirtschaftspolitik werde sich am 15. Mai zeigen, wenn die Mitglieder des Landwirtschaftsausschusses der ÖVP im Parlament gemeinsam mit den anderen Fraktionen über ein generelles Verbot von neonicotinoiden Saatgutbeizen abstimmen, so Global 2000 weiter.
Auch Greenpeace schießt sich weiter auf Berlakovich ein. „Das Ergebnis des ‚Bienengipfels‘ ist der Gipfel an unambitioniertem Handeln", so Dagmar Urban, Landwirtschaftsexpertin bei Greenpeace. Die Ankündigung sei bloß ein erster, sehr kleiner Schritt und alles andere als eine Kehrtwende in der Politik Berlakovichs. Vielmehr sei es ein Eingestehen einer Niederlage, denn das EU-weite Teilverbot werde trotz der intensiven Blockadebemühungen Österreichs ohnehin kommen, so Urban. Greenpeace forderte ein vollständiges nationales Verbot der drei Neonicotinoide wie etwa in Deutschland.
Insgesamt gebe es sieben Pestizide, für die die Wissenschaft inakzeptable Risiken für Bienen identifiziert habe. Das sind einerseits die drei Neonicotinoide, für die nun EU-weite Teilverbote kommen sollen, darüber hinaus Fipronil, Cypermethrin, Deltamethrin, Chlorpyrifos. Greenpeace forderte von Berlakovich nun, sich als nächsten Schritt für vollständige Verbote dieser sieben Pestizide auf EU-Ebene einzusetzen und sie bis zum Inkrafttreten europaweiter Verbote in Österreich zu verbieten. „Wenn der ‚Bienengipfel‘ mehr als ein PR-Gag war und das neue Motto der ÖVP wirklich ‚im Zweifel für die Bienen‘ lautet, müssen weitgehende Verbote aller bienentödlichen Pestizide folgen“, so Urban.
Keine Freude mit dem Beizverbot von Mais mit den hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln, von denen in Österreich zumeist drei zum Einsatz kommen (Imidacloprid, Clothianidin sowie Thiamethoxam), hatte Landwirtschaftskammer-Präsident Gerhard Wlodkowski (ÖVP). Er sei „erschüttert“ über die Vorgangsweise in Brüssel. Man habe die Neonicotinoide „gut im Griff“ gehabt, die Auswirkungen seien kontrollierbar gewesen. Nun müsse man sich mit neuen Spritzmitteln vertraut machen, deren Wirkung noch nicht bekannt sei.
„Wir haben alles darangesetzt, damit Neonicotinoide den Bienen nicht schaden“, so der LKÖ-Präsident und nannte diesbezüglich die MELISSA-Studie und die Umrüstung von Sägeräten. „Diese Investitionen werden nun überflüssig“, sieht Wlodkowski „enorme Probleme“ auf die Saatgut- und Landwirtschaft zukommen. „50 bis 60 Millionen Euro stehen auf dem Spiel.“ Die LKÖ trage dennoch die Entscheidung des Umweltministers mit, wenngleich „Beizung sicher nicht das Hauptproblem für Bienen“ sei. Das Verbot sei eine „sehr große Belastung, aber wenn die öffentliche Meinung einen anderen Weg fordert, dann werden wir den auch gehen“.
Die FPÖ wollte am Dienstag den bereits angekündigten Antrag für eine Sondersitzung des Nationalrats zum Bienensterben einbringen - wobei auch über das Thema Saatgut und Wasserprivatisierung diskutiert werden soll, wie FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache bei einer Pressekonferenz ankündigte. Er zeigte sich darüber erfreut, dass sämtliche Oppositionsparteien das Anliegen unterstützen und die Sitzung damit fix ist. Die Freiheitlichen prüfen zudem eine Anzeige gegen Berlakovich.
Die Sitzung soll dem Vernehmen nach Dienstag kommender Woche stattfinden. „Ich fordere Berlakovich auf, umgehend alle Informationen zum Einsatz von Pestiziden in Österreich zu veröffentlichen“, so Strache weiter. Strache will auch klären, ob Bestechung im Spiel gewesen sei, wobei er etwa auf Inserate von Pestizidherstellern in der Bauernzeitung verwies. Die FPÖ fordert, dass die Werbung für Umweltgifte künftig untersagt wird. Den geplanten Misstrauensantrag gegen Berlakovich will die FPÖ ebenfalls unterstützen.
Der „Bienengipfel“ wurde von den Freiheitlichen als PR-Maßnahme des Ministers beurteilt, wie FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl ausführte. Er stellte auch die für das Ressort gewählte Bezeichnung „Lebensministerium“ infrage: „Für die österreichischen Bienen ist es ein Todesministerium.“
Das BZÖ unterstützt die gemeinsame Sondersitzung der Opposition zum Bienensterben. Das außertourliche Plenum soll nächste Woche stattfinden, sagte BZÖ-Chef Josef Bucher bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Seine Partei werde auch einen Misstrauensantrag gegen Berlakovich einbringen oder einen gemeinsamen der Opposition unterstützen - so weit seien die Verhandlungen aber noch nicht.

Der geschäftsführende Parlamentarier der Grünen, Dieter Brosz, sagte Montagnachmittag auf Anfrage der APA, dass man den Antrag der Freiheitlichen unterstützen werde. Bei der Sitzung wollen die Grünen dann auch ihren angekündigten Misstrauensantrag gegen Berlakovich einbringen.
Anfang Mai hatten sich 15 EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel für ein Zulassungsverbot von drei umstrittenen Pflanzenschutzmitteln, die im Verdacht stehen, für das Bienensterben mitverantwortlich zu sein, ausgesprochen. Acht Länder - darunter Österreich - waren dagegen, und vier enthielten sich der Stimme. Berlakovich begründete damals die Ablehnung unter anderem mit „fehlenden wissenschaftlichen Studien zum Bienensterben“. Daraufhin hagelte es Kritik am Landwirtschaftsminister von Koalitionspartner SPÖ, den Oppositionsparteien und Umweltschutzorganisationen.
Doch Berlakovich droht bereits neues Ungemach: Das Landwirtschaftsministerium gerät nun auch wegen seiner Öffentlichkeitsarbeit unter Beschuss. Der Rechnungshof kritisierte in seinem Endbericht Direktvergaben von Aufträgen ohne Ausschreibung und nicht gekennzeichnete bezahlte Werbebeiträge.

Quelle: ORF, im Juni 2013
http://www.orf.at/stories/2180766/2180763