Im Jahr 1974 brachte der Agrochemiekonzern Monsanto mit dem Produkt »Roundup« ein Totalherbizid auf den Markt, dessen Hauptwirkstoff inzwischen zum meist verwendeten Pflanzenvernichtungsmittel der Welt aufgestiegen ist: Glyphosat. In der Landwirtschaft wurde dieses Herbizid von Beginn an als ertragssteigerndes Mittel gefeiert, gesundheitliche Gefahren wurden nicht gesehen. Doch seit einigen Jahren werden kritische Stimmen lauter, die auf eine Vielzahl von möglichen negativen Auswirkungen auf Menschen, Tiere und die Umwelt aufmerksam machen. Zuletzt mehrten sich vor allem die Anzeichen dafür, dass Glyphosat auch mit der schwerwiegenden, derzeit vor allem Rinder betreffenden Krankheit »chronischer Botulismus« zu tun haben könnte.
In den ersten Jahrzehnten seiner Marktpräsenz wurde Glyphosat zunächst allein über das Produkt »Roundup« von Monsanto verbreitet. Mit Auslauf der Patentrechte in vielen Staaten der Welt steht mittlerweile aber auch eine zunehmend steigende Anzahl von Produkten auch anderer Firmen zur Verfügung. In Deutschland sind derzeit bereits 81 glyphosathaltige Produkte zugelassen (inkl. 13 unterschiedlicher »Roundup«-Produktausprägungen). Gemein ist diesen Produkten, dass sie mit Glyphosat einen Hauptwirkstoff beinhalten, der sowohl nicht-selektiv als auch systemisch wirkt. Dies bedeutet zum einen, dass der Wirkstoff nicht bloß gegen bestimmte einzelne Pflanzen wirkt, sondern generell gegen alle, und sich zum anderen über die Pflanzensäfte in sämtliche Pflanzenteile verteilt. Hinzu kommen bei vielen Produkten weitere Wirkstoffe, die mitunter dafür sorgen, dass das Glyphosat nach seiner Spritzung an den Pflanzen haften bleibt und leichter in ihr Inneres eindringen kann.
Glyphosathaltige Produkte werden in Hobbygärten, in hohen Maßen aber vor allem in der Landwirtschaft zur Vernichtung unerwünschter Pflanzen versprüht. Beim Anbau von Getreide und weiteren Ackerfrüchten geschieht dies in Deutschland zu zwei Zeitpunkten: kurz nach der Saat, aber noch vor dem sichtbaren Durchbruch der Pflanzen aus dem Boden (Vorauflauf), sowie bei der Sikkation (Austrocknung), bei der die Herbizide kurz vor der Ernte versprüht werden, um die gesamten Pflanzen und dabei gerade auch sämtliche noch unreifen Pflanzenteile vorzeitig abzutöten – Erntemaschinen können so effektiver arbeiten, der Ernteertrag gesteigert werden. Insgesamt ausgebracht werden hierzulande derzeit rund 15.000 Tonnen glyphosathaltige Pflanzenvernichtungsmittel pro Jahr. Noch weitaus größere Mengen dieser Mittel werden in Ländern wie den USA versprüht, in denen der Anbau von sogenannten »Roundup-Ready«-Pflanzen erlaubt ist – gentechnisch veränderte Pflanzen, die gegen Glyphosat resistent sind und die es somit ermöglichen, glyphosathaltige Pflanzenvernichtungsmittel vermehrt auch während des gesamten Wachstumsprozesses der Pflanzen einzusetzen. Derzeit liegt die Gesamtmenge des weltweit eingesetzten Glyphosats bei 740.000 Tonnen pro Jahr, eine Verdoppelung dieser Menge auf 1,35 Millionen Tonnen in den nächsten vier Jahren wird prognostiziert.
Seit ihrer Markteinführung werden glyphosathaltige Pflanzenvernichtungsmittel mit Begriffen wie »Erntesicherung« oder »optimale Anwender-Flexibilität« beworben. Eine effektive Ernte sowie die Möglichkeit für landwirtschaftliche Betriebe, »wertvolle Arbeitszeit einzusparen und Prozesse zu optimieren«, stecken als Versprechen dahinter. Oft ist zudem auch von einer »sehr guten Umweltverträglichkeit« der Produkte die Rede, verbunden mit dem Hinweis, dass sie »in jeder Hinsicht den Anforderungen an eine moderne, umweltschonende und gleichzeitig leistungsfähige Landwirtschaft« gerecht werden. Bedenkenlos empfehlenswerte Produkte also? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
Mittlerweile gibt es eine große Anzahl von Studien und Berichten, die Indizien dafür liefern, dass der Wirkstoff Glyphosat nicht nur bedenklich, sondern tatsächlich auch äußerst gefährlich ist. Als noch gefährlicher kristallisiert sich zudem die Kombination aus Glyphosat und weiteren Wirkstoffen zu den in der modernen Landwirtschaft inflationär verwendeten »Roundup«-Produkten heraus. Ein im Jahr 2010 veröffentlichter Bericht eines internationalen Bündnisses von Wissenschaftlern fasst einige bis dato bekannten Fakten zusammen:
Schon in geringen Mengen schädigen Glyphosat und »Roundup« die menschlichen Embryonal- und Plazentazellen sowie die DNA von Menschen und Tieren. In menschlichen Zellen kann »Roundup« innerhalb von 24 Stunden zum vollständigen Zelltod führen. Nachweislich tödlich ist »Roundup« vor allem auch für Amphibien. Zudem bestehen bei Menschen und Tieren Zusammenhänge zwischen Glyphosat und Fehlbildungen/-geburten. Darüber hinaus weist eine neuere Studie darauf hin, dass Glyphosat solchen Krankheiten wie Alzheimer, Diabetes und Krebs den Weg ebnen sowie zu Depressionen, Herzinfarkten und Unfruchtbarkeit führen könnte. Nicht zuletzt hat Glyphosat hohe negative Auswirkungen auf die Bodenfruchtbarkeit und das Bodenleben: bestimmte krankheitserregende Pilze wie Fusarien (parasitäre Schimmelpilze, die ihren Wirt töten) werden gefördert, die Aufnahme von Mikronährstoffen und die Krankheitsabwehr von Pflanzen werden gestört, die für die Durchlüftung von Böden unverzichtbare Regenwürmer meiden mit Glyphosat belastete Böden.
Was durch Glyphosat verursachte Schäden betrifft, so sorgten in der Vergangenheit u. a. menschliche Krankheits- und Todesfälle in Argentinien für einige Aufmerksamkeit. Doch auch hierzulande können die Auswirkungen von Glyphosat beobachtet werden: Landwirte berichten über Atemwegsbeschwerden und Hauterkrankungen. Und auch ein zunehmender Verlust der biologischen Vielfalt, wie etwa das rapide Bienensterben in den vergangenen Jahren, kann auf den Einsatz von Glyphosat zurückgeführt werden.
Weitere Auswirkungen sind zu befürchten: Wie eine Leipziger Forschungsgruppe um Prof. Dr. Monika Krüger im vergangenen Jahr nachweisen konnte, sind inzwischen Rückstände von Glyphosat im Urin von Menschen und Tieren zu finden – und das selbst dann, wenn diese nicht direkt mit Glyphosat in Kontakt gekommen sind (etwa beim landwirtschaftlichen Spritzen, über Boden- und Wasserrückstände etc.). Diesen Befund bestätigt eine weitere im Juni 2013 veröffentlichte Untersuchung, die vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und seinem europäischen Dachverband Friends of the Earth (FOE) initiiert wurde: so konnte Glyphosat im Urin von Großstädtern aus 18 europäischen Staaten nachgewiesen werden. Dies lässt klar darauf schließen, dass Glyphosat über Lebens- und Futtermittel aufgenommen wird. Unterstrichen wird dies durch eine Untersuchung der Zeitschrift Ökotest: 14 von 20 getesteten Produkten (Mehl, Brötchen, Getreideflocken) enthielten Glyphosat. Mit welchen Folgen die Aufnahme von Glyphosat über Lebens- und Futtermittel einhergehen kann, wird am Beispiel der Krankheit »chronischer Botulismus« bei Rindern deutlich.
Als Botulismus wird seit gut zweihundert Jahren eine durch Vergiftung ausgelöste Krankheit bezeichnet, die sowohl den Menschen als auch weitere Säugetiere befallen kann. In letzter Zeit macht die Krankheit vor allem im Zusammenhang mit Rindern und dabei vornehmlich mit Milchkühen verstärkt von sich reden, u. a. weil sie allein schon zwischen 1996 und 2010 in über 1.000 deutschen Rinderbetrieben nachgewiesen werden konnte. Die diesbezüglichen Probleme werden in einer Themenausgabe der regelmäßig erscheinenden Informationsschrift Agrar-Info der Agrar-Koordination (Forum für internationale Agrarpolitik e. V.) u. a. wie folgt zusammengefasst: »immer mehr erbärmlich verendende Kühe, totgeborene Kälber, das erschütternde Leid der betroffenen bäuerlichen Familien und verlassene Höfe«.
Unterschieden wird generell zwischen dem klassischen oder akuten Botulismus und dem chronischen oder viszeralen Botulismus. Erzeugt wird der Botulismus in beiden Fällen durch Gifte des Bakteriums »Clostridium botulinum« und dabei hauptsächlich durch ein Neurotoxin (Nervengift), das als »BoNT« bezeichnet wird – ein Gift, das als stärkstes überhaupt bekannt ist und von dem laut dem Kritischen Agrarbericht rein theoretisch eine Menge von 40 g ausreichen würde, um die gesamte Weltbevölkerung zu vernichten. Als Symptome bei erkrankten Rindern zählt der Agrarbericht die folgenden auf: »auffälliger Leistungsabfall, hochgezogener Bauch, Auszehrung, Torkeln und Entenlauf, eingeschränkte Reflexe, gestörtes Trinkverhalten, andauernder Speichelfluss, Pansenlähmungen, Labmagenverlagerungen und nicht heilende Hautwunden.«
Botulismus-Bakterien vermehren sich in erster Linie in Fleisch und Pflanzen, die der Fäulnis ausgesetzt sind. Wird eine solche mit dem Nervengift BoNT durchsetzte Nahrung von Rindern aufgenommen, dann liegt ein Fall von klassischem Botulismus vor. Verhindert werden kann dieser durch eine reine, unverdorbene Nahrung. Beim chronischen Botulismus hingegen sind es zunächst allein die Sporen der Botulismus-Bakterien, die mit der Nahrung aufgenommen werden und die erst im Darmtrakt damit beginnen auszukeimen – ab einer gewissen Dichte an entstehenden Bakterien führt dies schließlich zu einer chronischen Ausbildung von BoNT. Die so erkrankten Rinder werden dabei zu Dauerausscheidern von Sporen der Botulismus-Bakterien, womit ein erhöhtes und dauerhaftes Infektionsrisiko auch für nicht erkrankte Tiere und die betroffenen Landwirte gegeben ist. Letzteren drohen dem Kritischen Agrarbericht zufolge im Falle einer Infektion »Muskelschwäche, Schweregefühl der Augenlider, Kloßgefühl beim Schlucken, gehäufter Harndrang mit fortbestehendem Restharngefühl«.
Lange Zeit blieb unklar, weshalb immer mehr Rinder an chronischem Botulismus erkranken und dabei vor allem Hochleistungsmilchkühe, obwohl die Tiere auch früher schon regelmäßig in Kontakt mit dem Botulismus-Bakterium und dessen Sporen standen. Seit dem letzten Jahr verdichten sich jedoch die Indizien, dass als Hauptauslöser der Krankheit Glyphosat benannt werden kann. Denn wie die oben bereits erwähnte Leipziger Forschungsgruppe um Prof. Krüger ebenfalls herausfand, tötet Glyphosat gesundheitsfördernde Bakterien in Magen und Darm, womit die Darmflora erheblich geschädigt wird. Bakterien wie das Botulismus-Bakterium können so nicht mehr ausreichend abgewehrt werden. Äußerst bedenklich ist daher die Aufnahme von Futtermittel, das vorab (vor allem in der Spritzphase kurz vor der Ernte = Sikkation), mit Glyphosat behandelt wurde. Kaum verwunderlich erscheint schließlich auch, dass gerade Hochleistungsmilchkühe verstärkt betroffen sind: Der überwiegende Anteil der 78 % Eiweißfuttermittel, die für die Tierfütterung in die EU importiert werden und die gerade Hochleistungstiere dauerhaft in großen Mengen als Kraftfutter zugeführt bekommen, ist gentechnisch verändertes Soja – von diesem kann ausgegangen werden, das es in hohen Maßen mit Glyphosat behandelt wurde.
Was die Politik betrifft, so sind die Aussichten bei der Gefahreneinstufung von Glyphosat und einem damit einhergehenden möglichen Verbot des Wirkstoffs eher ernüchternd: der deutschen Regierung ist bereits seit 1998 bekannt, dass Gefahren wie Missbildungen von Glyphosat ausgehen, der EU seit 1999. Seither wurden zudem dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), dem Umweltbundesamt (UBA) sowie dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) laufend neue Erkenntnisse über die Gefahren von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln von Wissenschaftlern präsentiert, zuletzt z. B. eine wenig ernst genommene Studie der Universität Caen. Doch auch eine bemerkenswerte Anzahl von immer wieder neuen Erkenntnissen führte bisher kaum zu einem Umdenken in der Politik, was vornehmlich darauf zu beruhen scheint, dass Glyphosat v. a. noch vom BfR nach wie vor als weitestgehend unbedenklich eingestuft wird (s. auch hier). Und auch in Sachen chronischer Botulismus sieht es nicht anders aus: Zwar fördert die Bundesregierung mittlerweile seine Erforschung, doch wird sein Status als ernstzunehmende Krankheit nach wie vor vom BMELV aufgrund von vermeintlich fehlenden wissenschaftlichen Nachweisen in Zweifel gezogen (s. auch hier). Besonders bedenklich dabei: Als Berichterstatter bei der EU-weit gültigen Wirkstoffgenehmigung, die am 31.12.2015 ausläuft und die bis dahin einer Neubewertung unterzogen werden muss, ist Deutschland u. a. für die Auswertung von Studien sowie für die Erstellung des Prüfberichts verantwortlich – was Glyphosat betrifft, ist Deutschland somit federführend.
Weshalb die derzeitige Regierung sich kaum regt, kann nur gemutmaßt werden, doch bergen die Mutmaßungen einigen Zündstoff: Im Jahr 2012 konnte über einen Testbiotech-Report aufgezeigt werden, dass das BfR – hierzulande eine maßgebliche Instanz bei der Bewertung von Glyphosat – nicht als unanfällig gegenüber der Einflussnahme von agrarindustriellen Lobbyisten gelten kann. Demnach stehen viele der Kommissionsmitglieder für genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel und auch hochrangige Angestellte des BfR in enger Verbindung zur Agroindustrie. Wird nun einmal analog der Blick auf die Kommissionsmitglieder für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände gerichtet, so zeigt sich auch hier, dass einige Kommissionsmitglieder u. a. eng mit den Großkonzernen BASF, Bayer und Syngenta in Verbindung stehen oder standen – Konzerne, von denen sich die beiden letztgenannten erst kürzlich massiv gegen ein Verbot bestimmter Pestizide eingesetzt haben und die allesamt auch glyphosathaltige Mittel in ihren Produktpaletten führen. Beachtet man allein schon den Umsatz von 2 Milliarden US-Dollar, den Monsanto mit seinem Produkt »Roundup« macht, dann dürfte klar werden, dass auch alle weiteren Agrokonzerne und ihre Konzernvertreter ein Verbot dieses Wirkstoffs zu verhindern suchen.
Eine unübersehbare Zahl an Indizien und Erkenntnissen spricht mittlerweile dafür, dass das Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat als hoch lebensfeindlich für den Menschen und seine Mitwelt einzustufen ist. Entsprechende Studien sollten bei dessen Risikobewertung endlich maßgeblich berücksichtig werden. Dass dies bisher noch nicht ausreichend geschehen ist, kann als politisches Versagen bezeichnet werden. Es muss als weithin unverständlich gelten, dass glyphosathaltige Mittel trotz aller negativen Anzeichen weiter massenhaft ausgebracht werden dürfen – ein sofortiger Verkaufsstopp ist stattdessen zu fordern. Denn bis nicht ausreichend bewiesen werden kann, dass Glyphosat keine gesundheitlichen und weiteren Schäden nach sich zieht, darf wirtschaftlichen Interessen auch keinerlei Vorrang eingeräumt werden. Doch muss auch dort sofort gehandelt werden, wo Glyphosat bereits jetzt zunehmend Schäden anrichtet: So fordert die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt hinsichtlich des chronischen Botulismus einen sofortigen Stopp des Einsatzes von mit Glyphosat behandeltem Futtermittel. Nicht zuletzt muss auch das System in Frage gestellt werden, das Druck auf die Landwirte ausübt, immer höhere Erträge zu erzielen – ohne Rücksicht auf die Mitwelt.
MDR: Chronischer Botulismus bei Rindern und Menschen
http://www.mdr.de/mediathek/themen/reportage/video131880_zc-78c52757_zs…
Quelle: Albert Schweitzer Stiftung, 06.06.2013
https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/glyphosat-auswirkungen
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